5 Tage, 6 Übergänge, 7 Gipfel an der Fasnacht – Eine Erkundung des namenlosen Kamms zwischen der Leventina und dem Valle di Blenio (18. – 22. Februar 2018)

Zwischen den tiefen Tälern Leventina und Valle di Blenio erstreckt sich eine Bergkette, mit Endpunkten Ambri und Biasca. Die Gipfel hier sind zwar nicht besonders hoch oder bekannt, jedoch die Pässe und Hänge meist steil, und die Skitouren eher schwierig.

Geplant war (wie schon 2017) an Fasnacht eigentlich eine Gebietserkundung im Rätikon, doch die Nordstaulage und die scharf ansteigende Lawinengefahr machten diesen Plan (wie auch im letzten Jahr) leider zunichte. Stattdessen wurde kurzfristig das Tessin zum Ausweichquartier – mit der Erwartung einer entspannteren Lawinenlage und viel mehr Sonne, was beides eintraf.

Unsere Tour mit fünf Tagesetappen querte insgesamt sechs Mal den Gebirgszug, fast auf seiner gesamten Länge, und erreichte dabei sieben Skigipfel. Sie ist nur bei sehr guten Bedingungen machbar, sprich sicheren Lawinenverhältnissen in den oberen Steilhängen, und trotzdem genügend Schnee für Abfahrten in die Tessiner Täler (teils zwischen Palmen in den Gärten der Rustici) – und bietet somit ein spannendes Kontrastprogramm.

(Claudios GPS-Track und detaillierte Beschreibung: http://www.gps-tracks.com/leventina-in-5-tagen-von-piora-nach-anzonico-skitour-E08664.html)

Luftlinie sind es von Altanca nach Anzonico nur 17 km, auf unserer Route sind’s aber 72km und 7460HM.

Auf geht’s!

 


Samstag, 17.2.: Altanca – Poncione d’Arbione (2409m) – Capanna Cadagno

Am ersten Tag geht es bei eher diffuser Sicht von Altanca (1390m) steil durch Wälder und Lawinenhänge zum Staudamm des Lago Ritom. Wegen zwei exponierten Passagen auf dem Saumpfad gilt dieser Zustieg als „S-„ (Route 32a). Wir nehmen einen kleinen Gipfel mit: ab der Staumauer rechterhand über kupiertes waldiges Gelände, und zuletzt am Gipfelgrat zu Fuss (WS), zum Poncione d´Arbione (2409m); hier die 1. Überschreitung des Kamms. Die Abfahrt über 218a (WS) führt mit einem Gegenanstieg und einer etwas langwierigen Bachquerung zur Hütte.

Die Cap. Cadagno liegt unter viel Schnee, der Zugang gelingt durch Absteigen in ein freigeschaufeltes Loch. Der ständig geöffnete und sehr gut eingerichtete Winterraum dieser postmodernen Hütte hat Holz- und Gasofen, Strom, Kaffekapselmaschine, Mikrowelle, Wasserkocher, Wintertoiletten, und sogar allerlei Getränke. Etwas seltsam nur, dass Trinkwasser ausschliesslich aus „d’m grusigen gäle Schluuch“ neben der Toilette kommt.

Steilstück im Zustieg

Am Piora-Staudamm

Es hängen über der Leventina eindrucksvolle Wechten


Sonntag, 18.2.: Capanna Cadagno – Passo del Sole – Le Pipe (2667m) – Capanna Prodör

Über Nacht fallen etwa 15cm Neuschnee, mit Wind, und der Weg aus der Hütte muss wieder freigeschaufelt werden. Bei (im Vorraum der Hütte gemessenen) -10 Grad geht es sanft ansteigend (via 32b) zum Passo del Sole (2376m), kurz über pulvrige Osthänge herab, und dann auf zur Bassa di Söu und von hier über eine 35° steile Ostrampe (ZS+) zum Schneegipfel von Le Pipe (2667m) – die 2. Überschreitung des Kamms. Die naheliegende Spitze des Pizzo del Sole (2773m) lassen wir aus, weil lockerer Neuschnee (evtl. auch Triebschnee) den plattigen und teils exponierten Felsgrat bedeckt.

Nach einer sonnigen Gipfelrast führt die Abfahrt von Le Pipe nach Westen (226c, ZS); kurz steil, dann über gleichmässige, schöne Hänge zum Lago Chiéra. Von dort, einen Gegenaufstieg vermeidend, über abwechselnd flache und steile Südhänge zum Plateau der Alpe Chiéra, und ab hier entlang dem Sommerweg nach Modione und Cortino. Dem Wanderweg entlang zur Cap. Prodör (3km Aufstieg).

Die Hütte Prodör ist ganzjährig bewartet und bietet Duschen und WLAN. Paolo bewartet sie freundlich, kocht schmackhaftes Essen, und kümmert sich um den verspielten Hüttenkater Toni.

Kalter Start zum Passo del Sole

Traumhang (S-seitig) bei der Abfahrt von Le Pipe

Hüttenkater Toni hat nur Unsinn im Sinn


Montag, 19.2.: Capanna Prodör – Pizzo d´Era (2618m) – Brönich – Passo Predelp – Prodör

Wir lassen heute das Gepäck in der Hütte und machen eine Tages-Rundtour, auf der wir wieder zwei Mal den Kamm überschreiten. Der Aufstieg zum Pizzo d´Era (2618m) erfolgt via 229c, kurzzeitig durch das Skigebiet von Carí, danach links und steil in den Kessel oberhalb Pian Cavallo hinein, und über den etwas ausgesetzten Südgrat zum Vorgipfel (S-). Auffällig im Aufstieg: eine ausgeprägte kammnahe Oberflächenreifschicht (Nigg-Effekt?).

Am Gipfel des Pizzo d´Era (3. Überschreitung des Kamms) entpuppt sich das sogenannte „Brönich-Couloir“ – eher ein kleines Tal, als ein schmales Couloir (229b, ZS+) – als reizvolle Abfahrtsmöglichkeit. Das von Sonne, Fön und Bise abgeschirmte Tal bot stiebenden Pulverschnee. Nach Mittagsrast bei der Alpe Brönich, oberhalb der Lukmanierstrasse, geht es über 228a (ZS-) auf den Passo Predelp (2450m, 4. Überschreitung). Wir folgen der im SAC-Führer als Fussaufstieg beschriebenen Route 228c, fahren aber im obersten Bereich etwas östlich der Route, nicht dem Sommerweg folgend, sondern direkt (>45°) zum Pian d’Essan ab (SS-). Diese Variante ist zwar steiler, vermeidet aber die Querung über einem heiklen Felsband. Über schöne südseitige Hänge geht es auf gut tragendem Harsch nach Predèlp und zurück zur Hütte.

S-O Grataufstieg zum Pizzo d’Era

Am Gipfelgrat des Pizzo d’Era, rechts Reif und Wolkendecke in der Leventina

Schier endloses Pulver im „Brönich-Couloir“

Kurioses Wolkenspiel am Nachmittag


Dienstag, 20.2.: Cap. Prodör – Punta di Stou (2566m) – Pizzo Molare (2586m) – Cap. Piandioss

Heute wieder Hüttenwechsel – erst durch das Skigebiet von Carì, dann über einen Wanderweg zur Route 236a (ZS-). Durch Wälder, weite Kessel, und einen zuletzt 35-40° steilen Hang geht es zur Punta di Stou (2566m); dort die 5. Überschreitung. Eine kurze, aber lohnende Abfahrt führt zum Nordgrat des Pizzo Molare (237b), einer aus weiten Teilen der Leventina sichtbaren, steilen Pyramide, die dank der guten Schneeverhältnisse nordseitig gut auf Ski zu erreichen ist. Unsere Abfahrt folgt Route 236b, erst nordseitig-pulvrig, dann durch einen kleinen Sattel in einen sehr steilen Südhang (S, 40° über 100hm), und von dort auf gut tragendem Sonnenschnee in den weiten Kessel von Pian Stavion.

Bei der Hütte am frühen Nachmittag ankommend, beschliessen wir, die tiefe Schneegrenze und die Aufstiegshilfen des kleinen Skigebietes Nara zu geniessen, und fahren über die Route 237e ab. Die letzte Querung zur Talstation erweist sich zwar als schmaler und aperer Hasenpfad durch den Wald, so erreichen wir nur noch knapp den Lift noch rechtzeitig, um uns zur Bergstation der 2. Sektion transportieren zu lassen (ansonsten: 1000HM Bonus-Aufstieg!).

In der Piandioss-Hütte wird im Winter wohl eher selten übernachtet; vielleicht wegen des fehlenden Winter-WCs und der etwas unbequemen Lager. Doch die kleine urige Hütte verfügt über einen Gas-und Holzherd, einen Brunnen unterhalb der Hütte, und einer tollen offenen Feuerstelle im Gastraum.

Aufstieg zur Punta di Stou

Gipfelfreuden am Molare

Auf Hasenpfaden zum Lift in Nara – ca. 850m hoch im Tessin

Die traumhaft gelegene Cap. Piandioss unter den Hängen des Molare (rechts)


Mittwoch, 21.2.: Cap. Piandiöss – Motto Crostel (2300m) – Pizzo Caslett (2293m) – Anzonico

Nach recht unangenehm kalter Nacht warten am Abschlusstag noch einmal zwei Gipfel; dank des unerwartet ausbleibenden Föhnsturms werden sie sogar zum Genuss. Durch das Skigebiet von Nara, und dann der Route 238b folgend, erreichen wir durch den Passo Crastumo (6. Überschreitung des Kamms) den Motto Crostel (2300m). Danach Abfahrt über 238d, auf wieder einmal schön gedeckelten Südhängen; Gegenanstieg zum Pizzo Caslett (2293m).

Wir wählen vom Pizzo Caslett die direkte Abfahrt nach südwesten (Route 239c, ZS-) und entdecken, dass die auf der Karte eingezeichnete Waldschneise inzwischen stark zugewachsen ist. Letztlich geht es per Waldwege und Sommerstrasse nach Anzonico, wo wir gerade noch den Bus um kurz vor 1.00 Uhr erwischen. Zum Abschluss und Abschied gibt es (schon fast Tradition) Pizza in Airolo.

Schönes Tessin an einem eiskalten Morgen bei der Cap. Piandioss

Aufstieg zum Motto Crostel

Im Hintergrund: Cima Caslett und das Ende des Kamms


 

Unsere 5-Tages Gebietserkundung dieser eher unbekannten Tessiner Skitourenregion war alpinistisch lohnend und ein rundherum schönes Bergerlebnis. Bei entsprechenden Bedingungen würde sich weiteres Erkunden hier lohnen. Die 8er-Gruppe bestand aus Claudio, Hanna, Marco B., Marco M., Liselotte, Sämi, Thomas, und Phil (Verfasser dieses Texts).

 

Sämi, Marco M., Thomas, Marco B. vor der Cap. Piandioss

Danke an Claudio, Marco R. und Marco B. für die Fotos!

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